Stadtschreiberin: «Nicht in der Welt, in der ich sonst lebe»

Von Doreen Garud, dpa

Die Stadt Mannheim lädt alle zwei Jahre eine Autorin oder einen Autor für Kinderbücher ein. Diese dürfen dann für einige Zeit ganz oben in einem Turm in der Stadt leben. Die Autorin Julia Willmann erzählt uns, wie sie ihre Zeit dort erlebt hat.

Mannheim (dpa) – Wie in einem Märchen lebte Julia Willmann gerade einige Monate lang. Ihr Zuhause war in einem Turm, nur durch eine Wendeltreppe erreichbar. Von dort sah sie unter sich einen Fluss und in der Ferne die Berge. In diesem Turm schrieb sie ein Buch. Denn Julia Willmann war Stadtschreiberin in Mannheim. Im Interview erzählt sie, wie sie diese Zeit erlebt hat.

Was macht man als Stadtschreiberin eigentlich?

Julia Willmann: «Wenn man das Wort Stadtschreiberin hört, könnte man denken: Da schreibt jemand die Geschichte der Stadt auf, was dort in den vergangenen Hunderten Jahren passiert ist. Aber sowas macht eine Stadtschreiberin gar nicht. In Wirklichkeit bedeutet es: Man lebt in dieser Stadt und arbeitet dort als Schriftstellerin. Und natürlich bringt man sich auch in die Stadt ein, man macht zum Beispiel Lesungen. So können die Menschen vor Ort mal jemanden treffen, der Bücher schreibt.»

Also für die Menschen in der Stadt ist das toll. Wie ist das für Sie?

Julia Willmann: «Es ist etwas ganz Besonderes, denn ich bin dann von Zuhause weg, nicht in der Welt, in der ich sonst lebe. Ich gehe nicht die Wege, die ich sonst gehe, treffe nicht die Menschen, die ich sonst treffe. Das macht mich wach, weil ich ganz neue Sachen sehe. Die kann ich mitnehmen in meine Geschichten. Auch das Alleinsein hilft sehr, auf neue Ideen zu kommen.»

Wie war dieser Ort, wie haben Sie gewohnt?

Julia Willmann: «Ich war schon dreimal Stadtschreiberin an verschiedenen Orten. Man bekommt immer eine Wohnung oder ein Haus, wo man leben darf. Diesmal war die Wohnung ganz oben in einem Turm! Und zwar im Turm der Alten Feuerwache, wo früher die Löschschläuche aufgehängt wurden und die großen Feuerwehrwagen standen.»

Wie sah die Wohnung aus?

Julia Willmann: «Der Turm ist rund, ich konnte in der Wohnung also einmal fast ganz im Kreis rumgehen und über die Stadt gucken. Durch ein Fenster konnte ich sehen, wie die Sonne aufgeht. Und durch ein anderes, wie die Sonne untergeht. Das war wirklich toll. Ich konnte über ganz Mannheim gucken, bis zu den Bergen. Ich habe gesehen, wie die Fabrikschlote der Industrie qualmen. Unten direkt am Turm ist der Neckar vorbeigeflossen. Das war fast ein bisschen märchenhaft.»

Ist Ihre Familie mit in den Turm eingezogen?

Julia Willmann: «Meine acht Jahre alte Tochter hat mich ab und zu besucht. Aber die meiste Zeit war ich schon alleine, und das soll auch so sein. Ich war zum Arbeiten und zum Schreiben dort.»

Haben Sie dort oben Besuch von Tieren bekommen?

Julia Willmann: «Das Efeu ist außen am Turm nicht bis ganz nach oben gewachsen, deswegen gab es nicht viele Spinnen. Da war meine Tochter froh. Aber auf dem Dach saßen oft Tauben und haben zu mir runtergeguckt. Was noch toll ist so weit oben: Windet es, merkt man das zehnmal mehr. Wenn es gewittert oder stark regnet, hat man das Gefühl, als würde man mit dem Kopf schon im Himmel stecken. Es braust und der Regen peitscht an die Wände. Das war ziemlich eindrucksvoll.»

Was haben Sie in der Zeit dort geschrieben?

Julia Willmann: «Ich habe an meinem zweiten Roman für Kinder geschrieben. Das ist die Geschichte einer kleinen Schwebfliege, die viele Abenteuer erlebt, weil sie bis in die Alpen reisen möchte. Die Fliege heißt Lili, aber sie fliegt am Anfang der Geschichte gegen eine Fensterscheibe und kann anschließend kein L mehr sprechen. So wird aus der ‚Kleinen Fliege Lili‘ die ‚Keine Fiege ii‘.»

Haben Sie in Mannheim auch Kinder getroffen?

Julia Willmann: «Ich habe zum Beispiel Lesungen für Schulklassen aus Mannheim gemacht. Die waren wegen Corona aber alle online. Dabei habe ich aus meinem ersten Roman vorgelesen, der in meiner Zeit in Mannheim erschienen ist: ‚Rascha und die Tür zum Himmel‘. Das ist die Geschichte von einem Jungen, Rascha, der seine Oma ganz arg mag. Sie muss aber die Familie verlassen, weil sie krank wird.»

Schreiben über eine Schwebfliege

Mannheim (dpa) – Die Autorin Julia Willmann schreibt Bücher für Kinder und Jugendliche. Wie macht sie das? «Manchmal muss ich vor dem Schreiben ganz viel lesen», erklärt sie. Ihr zweiter Roman dreht sich um ein Insekt, eine Schwebfliege.

Darum musste sie verstehen: Wie lebt eine Schwebfliege? Wovon ernährt sie sich? Wie schnell kann sie fliegen? Was ist für sie gefährlich? «Beim Lesen habe ich mir ganz viel dazu aufgeschrieben, auf Papier», sagt Julia Willmann. «Erst danach habe ich angefangen, an der Geschichte zu schreiben. Das mache ich dann direkt am Computer.»

Acht Jahre alte Tochter hilft beim Schreiben

Mannheim (dpa) – Kommt meine Geschichte bei Kindern gut an? Das wissen erwachsene Autorinnen und Autoren erst, wenn sie Kinder befragen.

Die Schriftstellerin Julia Willmann hat ihr Buch «Die keine Fiege ii» als erstes ihrer acht Jahre alten Tochter vorgelesen. Die hilft ihr dann. «Das ist ganz toll», meint die Autorin.

Frau Willmann erzählt: Wenn sie lacht, weiß ich gleich, dass etwas gut gelungen ist. «Wenn sie nicht mehr richtig zuhört, wird es offensichtlich langweilig, also muss ich diese Stelle anders erzählen.»

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de

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