Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte – Teil 6

Ich wache auf. Mein letzter Traum im Hinterkopf. Ich hatte von meiner Mutter geträumt, ein sehr außergewöhnlicher Traum. Sie hatte mich im Arm gehalten als wäre ich noch ein Baby. Dann öffnete ich meine Augen. Warte, hatte ich sie wirklich geöffnet oder war ich doch noch gefangen in dem spannenden Traum, in dem  meine Mutter mir nun den Schnuller in den Mund steckte. Ich schrie, ich schrie mir die Seele aus dem Leib, mehr als das. Aber auch das änderte meine Aussicht nicht. Vor mir immer noch schwarz. Bis zu diesem Augenblick, hatte ich gedacht meine größte Angst wären Spinnen. Ich glaube aber ich lag falsch, Dunkelheit ist um einiges schlimmer. Aber war das nun alles nur ein Traum oder war das Ich. Langsam spürte ich wie die Schweißperlen auf meiner Stirn hinunterliefen. Da ich aber wusste, dass ein weiterer Aufschrei nichts bringen würde, fing ich an mich zu sammeln. Das funktionierte so mehr oder weniger. Dann tastete ich mich langsam vor, beziehungsweise suchte  ich erstmal meine Hände, um dann meinen Körper entlangzufahren. Das war wirklich ich, Oliver, 19 Jahre alt und ein kleiner Schisser. Zu aller erst fasste ich mir an den Kopf. Da die erste Überraschung, meine Kappe war weg. Das kalte Gefühl der Schnalle und der leichte Druck der meinen Kopf sonst immer umfasste, fehlte. Dann plötzlich das Vogelzwitschern meines Handys, meine Mutter. Sie hob ab und im nächsten Moment hörte man einen lauten Aufschrei „Was, nur noch drei Tage“. Ihr starrer Blick auf den bunten Balkon, von dem man das brummen der stehenden Autos hören konnte, versprach nichts Gutes. Dennoch schien ihr dieser Anblick nicht weiterzuhelfen. Nach einer langen Redepause legte sie einfach auf. Sie fasste mit ihren zitternden Händen nach ihrem Kaffee, der bei dieser Vibration nicht lange in der Tasse blieb und über ihre frisch lackierten Nägel lief. „Scheiße“. Das beschrieb nicht nur ihre aktuelle Lage ihrer Hand, auch ihre innerliche traf das gut. Sie trabte ihr kleines, schmales Arbeitszimmer hoch und runter, überlegte o sie doch noch einmal anrufen sollte. Sie tat es nicht. Sie lief auf ihren Balkon, machte die Tür auf und ließ sich verzweifelt auf ihren luxuriösen Balkonstuhl fallen. Hektisch griff sie nach ihrer Marlboro-Packung auf dem steinernen Tisch vor ihr. Dabei fiel ihr das Feuerwehrauto auf, welches auf dem unscheinbaren Regal am hintersten Ende des Balkons befand. Geschockt ließ sie die Marlboro-Schachtel fallen und lief zu dem kleinen Regal.  „Das ist für deine erste eigene Wohnung, ich hoffe ich bleibe so in deinem Gedächtnis“, flüsterte sie und langsam liefen ihr die ersten Tränen über ihre pausigen Wangen. „ nur noch drei Tage“. Sie nahm das Feuerwehrauto und schloss es in ihre Arme.

Julika

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Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte – Teil 5

Freiheit ist Frieden für die Menschen, er kann tun und lassen was er will. Freiheit ist wie ein Vogel, der aus seinem Käfig fliegt und die Welt erforscht. Freiheit verbinden viele mit einem Leben ohne Regeln, indem all das Tun und Machen keine Konsequenzen hat, dass alles erlaubt ist, man nicht gebunden ist an ein Gesetz. Aber wieso sollte man nur so an Freiheit gelangen, ist es nicht auch möglich frei zu sein mit jemandem der dich liebt, einer der sich um dich kümmert und dir genau deshalb Ratschläge gibt, auch so genannte Regeln. Ich glaube das Freiheit nicht darauf beruht alles machen zu dürfen was man will, frei sein kann man auch mit Regeln und mit Einschränkungen. Ohne Regeln wäre das Leben doch viel zu langweilig, außerdem können wir erst mit Regeln frei von ihnen sein, frei herumreisen uns gleiten lassen und genießen. Regeln haben alle ihren Sinn. Auch wenn wir oft denken, dass sie uns einschränken, unseren Spaß rauben und uns rebellieren lassen, helfen uns Regeln, um unsere Grenzen zu kennen. Regeln haben einen Ursprung, einen Grund zu existiere, wieso also austesten. Freiheit ist auch mit Regeln möglich.

Julika

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Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte – Teil 4

Der Ruf des Meeres

Es war einer dieser extrem heißen Sommertage, die man nirgendswo anders als am Strand verbringen konnte. Ein salziger Geschmack erfreute meine Geschmacksknospen in meinem Mund, als wäre es die leckeren Salt & Vinegar Chips von Mr. Pringles. Die Sonne brannte ungnädig auf mich nieder und die Luft fühlte sich trocken an. Da hörte ich plötzlich das Meeresrauschen. Dieses Geräusch löste in mir eine grenzenlose Begierde aus ihm zu folgen. Ich näherte mich langsam der Geräuschkulisse. Es wurde immer lauter und das Verlangen immer größer, dem Ruf des Meeres zu Folgen. Als ich schließlich an der Brandung ankam, spürte ich plötzlich Wasser über meine Füße fließen und ich konnte fühlen wie sich langsam feiner Sand zwischen meinen Zehen ansammmelte. Als ich bald schon knietief im Wasser stand, war das Verlangen sogar so stark, als hätte mein Leben keinen anderen Zweck mehr  als weiter in das Wasser zu gelangen. So stürzte ich mich letztendlich mit dem Gefühl vollkommener Freiheit in das tiefe weite Meer. So müsste es sich wohl anfühlen wenn ein tibetanischer Mönch vollkommen in seiner Meditation versunken ist. Es trat auf einmal eine unbeschreibliche Stille ein. Die mir zunächst Angst bereitete. Ich dachte kurz darüber nach: Es ist doch paradox: Die Menschen sehnen sich nach Stille, aber sobald sie eintritt, erschrecken sie sich und wollen vor ihr flüchten. Da ich aber nicht den gleichen Fehler machen wollte, fing ich einfach an diesen Moment in mir aufgehen zu lassen und zu genießen. Es war das Gefühl von purer Entspannung und ich war einfach nur glücklich. Als plötzlich ein schriller Klingelton, wie der Schrei einer Hyäne lautstark ertönte und mich aus diesem Ort der Vollkommenheit riss. Da klingelt auch bei ihr das Telefon, als sie ihr Gesicht langsam von der Laptop-Tastatur entfernt. Als die Frau sich einen Moment lang über diesen grauenhaften Klingelton aufregte bemerkt sie plötzlich:„Oh Mist, das Telefon, warum muss es gerade jetzt klingeln?“. Sie nimmt ab und nennt ihren Namen:„Viola Violetta am Apparat“. Danach täuscht sie gekonnt Freude vor die Person am Ende der Leitung zu hören und ruft:“ Was ? Nur noch 3 Tage!!!“ Sie hat gerade erfahren, dass sie ihre Arbeit viel früher als geplant beenden muss. Nachdem sie schließlich auflegt beginnt sie weiter an den trostlosen Kalkulationstabellen die sich vor ihrem karibikblauen Bildschirmschoner mit den vielen Meerestieren befinden zu arbeiten. Sie hasste es zwar nicht, in ihrem home office zu arbeiten, aber mögen tut sie es ganz sicher auch nicht. Dennoch verdient sie ganz gut Geld damit, trotzdem spürt sie irgendwie immer einen Ruf zu etwas  bedeutenderem in ihrem Leben. Als sie widerwillig anfängt zu arbeiten riecht es plötzlich stark verkohlt. Was war das ? Es kommt langsam schwarzer Rauch aus ihrer Küche. Viola rennt verzweifelt in die Küche und da sieht sie es. Es ist ihr teuer erworbenes Roastbeef, auf das sie sich schon die ganze Woche gefreut hatte. Dieses ist jetzt aber leider ungenießbar geworden, macht dafür aber seinem Namen alle Ehre. Sie löscht das schon leicht entflammte Stück Fleisch mit dem dreckigen Spülwasser, indem noch einige Pizza Krümel vom Vortag schwimmen. Nachdem sie sich wenigsten als Feuerwehrfrau an diesem Tag erfolgreich gezeigt hat, will sie sich nach einer (leckeren) 5-Minuten-Terrine von Maggi zurück an die Arbeit setzen. Auf dem Weg dorthin läuft sie entlang an einem Ganzkörperspiegel, der in ihrer Wohnung hängt. Was ist das ?! Hat sie schon wieder zugenommen ? Nein, es ist etwas völlig unerklärliches mit ihrem Körper passiert. Er ist rot geworden wie der „Tomatenfrosch“, den sie letztens im Zoo gesehen hat. Es war ein Sonnenbrand. Aber wie ist das möglich, sie war doch den ganzen Tag ausschließlich in ihrer 5-Zimmerwohnung in Berlin, die noch nicht einmal einen Balkon  hat. Um so eine Hautfarbe zu bekommen, hätte man sich mindestens 5 Stunden uneingecremt am Strand in der Sonne aufhalten müssen. Während sie noch immer völlig fassungslos zu ihren Armen hinunter blickt, fällt ihr zugleich auf, dass sie barfuß. Nachdem sie sich vergewissert hat, dass sie weder träumt noch unter irgendwelchem Einfluss von Medikamenten steht, kommt ihr ein Gedanke. Was wenn der Traum den sie vorhin hatte, tatsächlich wahr geworden ist ? Und vor allem, was ist wenn nun alle Träume Wirklichkeit werden ?!

Tim

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Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte – Teil 3

Das Letzte, was ich hörte, bevor ich einschlief, waren die Worte meiner Mutter, die in mein Ohr flüsterte, dass sie mich lieb hat. Sie streichelte mir behutsam über den Kopf und verließ dann mein Zimmer. Naja eher das, was mal mein Zimmer war, bevor eine 16 jährige pubertierende Chaotin darin eingezogen war. Nachdem meine Mutter die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, war ich weg.
Was ich geträumt hatte, weiß ich nicht mehr. Als ich aufwachte war es schon hell. Die Sonne schien in mein Zimmer. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, wie spät es war: 8:13 Uhr. Mist. Ich hatte verschlafen. Und das obwohl wir in der 2. Stunde eine Deutscharbeit schreiben… König Ödipus… Dialoganalyse… aber was soll’s. Das Buch hatte ich eh nicht gelesen. Da mach ich mir lieber einen gemütlichen Tag… Aber daraus wird wohl nichts denn im nächsten Moment platzte auch schon meine Mutter ins Zimmer. AUFSTEHEN! WIR HABEN VERSCHLAFEN! schrie sie. Danke Mama… Das hab ich noch nicht mitbekommen… Na dann mal los… Anziehen, Zähne putzen, schnell noch was essen und los.
Ich hasse das Gefühl zu spät in die Klasse zu kommen. Alle schauen einen an. So nach dem Motto „hä, wo kommst du denn jetzt her?“
Man schaut in eine Kolonie von Autos. Alle sitzen da, wie Maschinen… zuhören… aufschreiben… zuhören… aufschreiben… immer das Gleiche… der Alltag eines Schülers.
Ich ging also auf meinen Platz und setzte mich. Der Lehrer machte weiter, als wäre nichts gewesen. Der Unterricht interessierte mich nicht besonders. Ich war noch ganz in Gedanken ans Wochenende… Wir waren zu – drrrrrrr – das war unsere Schulglocke. Das Zeichen dafür, dass jetzt das Chaos ausbrechen kann… Pause.

Adelina

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Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte – Teil 2

Und dann hast du dich abgewandt.

Ohne Ausdruck in deinem Gesicht, ohne Emotionen in deinen Augen, ich hab mich weggedreht und bin aufgestanden.

Was soll ich noch hier ohne dich, bei dir?

So viel Zeit und Gut, das sich verflüchtigt, als hätte ein Luftstoß einen Blätterstapel umgeworfen und aus dem offenen Fenster getragen. Niemand schaut uns an oder hinter her, sie wissen, dass gerade eine Ära in sich zusammen gebrochen ist. Möglicherweise erinnert es sie an vergangene Stunden oder Tage, in denen sie das gleiche Gefühl hatten. In denen sie sich gefühlt haben, als hätten sie keinen Plan und kein Ziel mehr. Als wären alle gelebten Momente bedeutungslos geworden.

Als wäre der Luftstoß nicht nur ein Hauch, sondern auch ein Orkan der Windstärke sieben gewesen, der Alles um uns herum dem Erdboden gleichgemacht hat.

Ich hoffe inständig, dass es kein Fehler war, dies aufzugeben. Es fühlt sich nämlich so an, als würden gleich alle Platten dieser Erde einen Meter auseinander gehen. Einen Sprung machen und alles mitreißen.

Ein großes Fragezeichen in leuchtend roter Neonschrift taucht in meinem Kopf auf, schwebt und steht dort. Die Verwirrung ist so schwer und dunkel, das sie das Strahlen des Piktogramms erstickt. Kein Platz für anderes. Warum zum Teufel kommt mir jetzt Herbert Grönemeyer mit „Mensch“ in den Kopf?

Ich weiß es nicht, doch ich laufe immer weiter weg, von dir und von Herbert.

Hanna

 

 

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Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte – Teil 1

Ich frage mich, was ich hier tue und was die menschliche Existenz zu bedeuten hat. Doch warum frage ich mich das? Ist es Sartre oder Camus – zu viele französische Philosophen – ich muss mehr davon leben. Leben oder nur lesen? Das muss ich entscheiden, denn mir ist die Freiheit gegeben! Doch will ich mich entscheiden? Will ich mich begrenzen?

„Nein“, ruft da eine Stimme aus meinem Kopf. Was, eine Stimme in meinem Kopf?! „Ich bin es – dein philosophisches Gewissen, dein denkerisches Ich“, ruft die Stimme – sie hat einen französischen Akzent. Ich bin verwundert…bin ich etwa schon so weit, dass Sartre mir erscheint oder gar Camus? Was ist mit mir los?, frage ich mich. „Nichts“, sagt die Stimme in meinem Kopf. Doch ich weiß, etwas ist faul…aber was? Wer bist du?, frage ich. „Ich bin es“ sagt die Stimme. „Du musst aufstehen“, ruft sie, „nutze deine Freiheit, habe keine Angst vor ihr. Ich bin es…“

In dem Moment öffne ich meine Augen. Ich liege auf einer Liege und blicke einem Mann ins Gesicht. Irgendwie erinnert er mich an Sigmund Freud – oder doch eher C.G. Jung? Was ist hier los? – beginne ich zu stammeln. „Es ist alles gut – wir haben sie nur hypnotisiert“, antwortet der Mann. Jetzt dämmert es mir…ich bin bei meinem Psychologen – aber warum und wozu habe ich überhaupt einen Psychologen?

Ich stehe auf, verlasse die Praxis und gehe die Straße entlang. Immer wieder höre ich die Stimme: „Nutze deine Freiheit – habe keine Angst vor ihr.“

Weniger lesen – mehr leben, denke ich nur.

Neo

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Lost and Found in Tbilissi – Rike Reiniger auf Lesereise durch Georgien

Rike Reiniger 2-minDie Anfrage des Goethe-Instituts Georgien flatterte überraschend und kurzfristig ins Postfach: Ob ich zum Tag des Buches für eine Lesung nach Tbilissi kommen könnte? Ein Blick in den Kalender und: Super! Ich komme! Dann noch ein Blick auf das Kleingedruckte der Einladung: eine Lesung für 6-12jährige Kinder mit Sprachkenntnissen auf dem Niveau von A1-A2. Oh je. Eine solche Altersspanne? Welches Buch kann das leisten? Und was ist nochmal A1-A2?

Moment … mein erstes Theaterstück! Ich hatte als Dramaturgin für den Spielplan der Landesbühnen Sachsen ein zweisprachiges Kinderstück gesucht, nicht gefunden und schließlich selbst geschrieben: „Lost and Found: Ein Herz und andere Dinge“.

August muss aufräumen. Das Chaos in seinen Einzelteilen vom Schraubenzieher bis Zahnbürste ist allerdings unmöglich zu bewältigen. Da schneit Judy herein, die nicht nur mit ihrem organisatorischen Furor nervt, sondern auch mit ihrer weitestgehend unverständlichen Sprache. Sie baut ein Fundbüro für die herumliegende Unordnung auf. Dabei kommt es zu tragischen Missverständnissen, im Verlaufe derer August sich in eine Prinzessin verwandelt und Judy ihr Herz verliert. Doch auch wenn im Fundbüro kein Herz abgegeben wurde, schafft es August die Katastrophe abzuwenden. Er legt Judy sein Herz zu Füßen! Und plötzlich spielt die fremde Sprache überhaupt keine Rolle mehr!

Der Text ist geschrieben für ein Publikum mit einer Sprache, die alle verstehen und einer Rike Reiniger 1-minSprache, die entweder einige auch sprechen oder die alle lernen. August spricht die Sprache des Kinderpublikums, Judy die neue Sprache. Durch das Spiel mit den Gegenständen, durch Wiederholungen in beiden Sprachen und durch einfache Sätze, die August im Verlaufe des Spiels lernt, ist das clowneske Theaterstück für jedes Sprachniveau verständlich. Es wird sowohl in der deutsch-englischen Originalfassung inszeniert als auch an Theatern, die für sprachliche Minderheiten spielen, z.B. in Deutsch-Sorbisch, Ungarisch-Deutsch, Italienisch-Deutsch, Deutsch-Ladinisch. (Nebenbei: Es gibt eine deutsch-türkische Übersetzung. Aber bisher hat kein Theater Interesse entwickelt, ein Stück zu inszenieren, in dem Kinder spielerisch ein paar Wörter der zweitgrößten Sprache Deutschlands aufschnappen könnten.)

Glücklicherweise hat das Goethe-Institut die Überschrift „Tag des Buches“ nicht wörtlich genommen und hielt ein Theaterstück als literarischen Beitrag für genauso passend wie ein Buch. Die eine Hälfte des Stücks mit der August-Figur wurde ins Georgische übersetzt und es fand sich ein junger Schauspieler, der sich bereit erklärte mit mir zusammen nach nur einer Verständigungsprobe diese szenische Lesung zu präsentieren.

Tbilissi im Frühsommer blüht und wächst und grünt, die Sonne scheint, der Wein schmeckt und das Essen sowieso. Die Straßen abseits des großen Rustaveli-Boulevards sind eher Gassen, trotzdem quetschen sich überdimensionierte SUVs durch. Die Häuser zeigen sich in prächtiger Schönheit verfallen oder direkt daneben ebenso prächtig renoviert. Zwei Schritte hinter dem Parlamentsgebäude hängt die Wäsche von den Holzbalkonen in den Hinterhöfen, glühen die traditionellen Ton-Öfen der winzigen Bäckereien und öffnet hier der showroom eines neuen Modelabels, dort ein Club, eine Bar, eine Galerie, ein Theater. Tbilissi ist so lebendig und cool wie Berlin nach der Wende, wenn das Wetter damals besser und die Leute ein bisschen lockerer gewesen wären.

Zum „Tag des Buches“ ist das Goethe-Institut mit seiner freundlichen Bibliothek und seinem ruhigen Café im wunderschönen Innenhof voll von wuselnden Kindern, ihren Eltern und Lehrer*innen. An den meisten Schulen wird Englisch gelehrt. Die wenigen, die auch Deutsch anbieten, nutzen die Gelegenheit und besuchen das vielfältige und niedrigschwellige Programm an diesem Tag. Nach einer Aufführung der Theater AG einer Schule, nach Papierschöpfen, Bilderbuch-Vorlesen und Schnupperkurs Deutsch, bauen wir unser Fundbüro auf.

Ungefähr siebzig Kinder schauen zu, wie Nika Kiknadze als August sich mit dem Chaos rumärgert und ich als Judy für Ordnung sorge. Wenn August die einfachen deutschen Sätze von Judy nicht versteht, rufen ihm einige Fortgeschrittene voller Begeisterung die Übersetzung zu. Natürlich haben sie Spaß daran, dass Judy das deutsche Wort „nass“ ganz praktisch mit einem Schwall Wasser erklärt oder August sich unversehens in einen rosa Rock gekleidet als Prinzessin in einen Kampf verwickelt sieht. Das Hin- und Her mit einem Schraubenzieher hat zur Folge, dass irgendwann alle im Saal sich trauen, dieses absurde deutsche Wort auch einmal in den Mund zu nehmen.

Nach der Auflösung aller Verwicklungen durch ein zu Füßen gelegtes Herz, ermuntern wir die Kinder, selbst Fundbüro zu spielen und mit den neuen Wörtern nach dem Schwert oder dem Schneebesen zu fragen. Zu ihrer eigenen Verwunderung entdecken die Kinder, dass Deutsch überhaupt nicht schwer, stattdessen aber ziemlich lustig ist: Guten Tag. Hier ist das Fundbüro. Suchen Sie einen …. Schraubenzieher – Schraubenzieher?!?! Und schon ist das Gelächter nicht mehr zu stoppen …

Eine zweite Lesung hatten wir in der neuen Universitätsbibliothek von Kutaissi, die eine Außenstelle des Goethe Instituts beherbergt. Die Fahrt dauert etwa drei Stunden, geht zum Teil durch die Berge und das ist erwähnenswert, weil es auf georgischen Straßen zwar durchgestrichene Linien, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Warnhinweise gibt, aber keine Autofahrer, die das in irgendeiner Weise auf sich beziehen. Egal, wir sind angekommen! Insgesamt etwa dreißig Kinder, Jugendliche, Lehrerinnen und Germanistik Studierende amüsierten sich auch hier mit August und Judy, georgisch und deutsch über Chaos, Ordnung und Liebe.

Und wenn die georgischen Kinder jetzt so schöne Wörter wie Schraubenzieher oder Ich-habe-mein-Herz-verloren kennen, was habe ich gelernt? Ganz einfach: Dalageba? Ara, ara …

Rike Reiniger, Juni 2019

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Aus der Schreibwerkstatt mit Tania Witte

SchreibwerkstattZum „Feuergriffel“-Aufenthalt gehören verschiedene Dinge: zum Beispiel Lesungen, Werkstattgespräche, Interviews und Schreibwerkstätten. Am 21. Mai 2019 fand im Feudenheim-Gymnasium eine solche Schreibwerkstatt mit Tania Witte statt. Die Autorin traf auf hochmotivierte Schülerinnen und Schüler, so dass beide Seiten sehr viel Spaß hatten und tolle Texte entstanden. Diese Texte werden im Rahmen der Abschlusslesung am 1. Juli 2019 als Ausstellung präsentiert. Für alle, die keine Zeit haben zu kommen, werden alle Texte auch hier auf dem Blog veröffentlicht.

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Neuigkeiten von Tobias Steinfeld

Tobias Steinfeld, Feuergriffel-Preisträger 2015, kommt mal wieder in die Region. Im Rahmen der Nibelungen-Festspiele in Worms bietet er eine Schreibwerkstatt an:
„Wer hat Lust, eine Zeitung zu kreieren? Beim Workshop der Nibelungen-Festspiele unter der Leitung des Autors Tobias Steinfeld ist das möglich. Vom 29. Juni bis 5. Juli können Jugendliche im Alter von 12 bis 20 Jahren mit eigenen Texten und Bildern die Festspiel-Zeitung „Nibelungen News“ gestalten.“

 

Und im August erscheint der zweite Jugendroman des Autors im Thienemann Verlag:Cover Thienemann Verlag
Hinreißend komischer und warmherziger Coming-of-Age-Roman ab 13 Jahren.

Abi, Lehre, Start-up – Zukunft geht klar! Für die meisten jedenfalls, die auch gleich ein paar nette Ideen für Alberts Zukunft anzubieten haben. Sein Vater rät zum Studium, seine Freundin will, dass er Maurer wird, das gibt Muskeln! Nur Albert selbst hat keinen Plan, was er nach der Schule machen soll. Seine Verzweiflung führt ihn in ein verrücktes Abenteuer, das mit einer Rudermaschine beginnt, ihn auf einen Schäferhof führt und mit Freunden fürs Leben endet. Und dazwischen? Schräge Außenseiter, ein Drohbrief, Wölfe, ein Kuss und jede Menge Schafe.

Vorgestellt wird das neue Buch im September auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin. Lesungen gibt es aber auch aus dem Feuergriffel-Buch. Das ganze Programm für Kinder und Jugendliche gibt es hier: http://www.literaturfestival.com/festival/kjl/2019
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Stadt schreiben

| von Tania Witte |

Hilft Träumen?

Gute Frage am Fenster des Community Art Centers.

Meine Zeit in Mannheim, meine Zeit im Turm neigt sich. Und ziemlich oft werde ich gefragt, was ich eigentlich so mache da oben und in der Stadt. Was „mein Job“ sei.

Also …

  • Mein Job ist es, zu schreiben. In allererster Linie. Das tu ich, an gleich zwei Büchern gleichzeitig.

Zum einen an dem Buch, für das mich die Jury ausgezeichnet und die Stadtbibliothek eingeladen hat. „Sonnenblick“ heißt mittlerweile „Marilu“ und kommt viel zu kurz. Denn, zum anderen, sitze ich an dem neuen Buch von Ella Blix, das ich zusammen mit der ehemaligen Feuergriffel-Preisträgerin Antje Wagner schreibe. Die Abgabefrist für das Buch ist Ende Juni und stand schon, bevor ich wusste, dass ich Feuergriffel werden würde.

Normalerweise ist eine Buchendspurtphase etwas sehr Einsames, in der ich niemanden treffe, niemanden anrufe und nur schreibe, schreibe, schreibe.

Diesmal nicht.

Denn diesmal bin ich in Mannheim.

Wo ich, weil das eben auch ein Teil des Jobs ist:

  • Lese.
    An Schulen und auf der Straße, alleine und zu zweit, laut – und auch leise, weil leise lesen für meinen Beruf ein Muss ist.
  • Workshops gebe.
  • Interviews gebe, dem Mannheimer Morgen, dem SWR2 und vielen Blogger*innen und Schüler*innen, die mir täglich schreiben.
  • Für „Marilu“ recerchiere. Unter anderem im ZI, das ist ein Geschenk.
  • Mich einen Tag lang von einem Fernsehteam des SWR begleiten lasse und Frage und Antwort zum Thema „Stadtschreiber*innen“ stehe.
  • Mit zwei sehr unterschiedlichen Mannheimer Schreibgruppen Werkstattgespräche führe.
  • Mit einer talentierten und liebenswerten Mannheimer Fotografin die Kunsthalle unsicher mache – für Pressefotos, unter anderem. Ja, das ist Arbeit!
  • Lesungen für die Zukunft plane. Inklusive der Akquise, inklusive der Reisen – im Moment bin ich mit meiner Planung im März/April 2020.
  • Meinen Verlag besuche, um über eine potentielle Veröffentlichung von „Marilu“ zu sprechen.
  • Für dieses Blog schreibe.
mural klein

Mein Lieblings-Mural von Stadt.Wand.Kunst. (Detail.)

  • Mit der charmanten Rezeptionistin des Orthopäden, den Inhabern des Berufsbekleidungsladens und Wildfremden an Straßenkreuzungen darüber rede, was eine Stadtschreiberin tut, wieso, wo, wie. Und warum es wichtig ist, dass es solche Ämter gibt. Was Mannheim dabei einzigartig macht. Am Ende sind viele überrascht und auch ein bisschen stolz, dass Mannheim das deutschlandweit einzige Stadtschreiber*innenamt für Kinder- und Jugendliteratur hat.
  • Bei einem Treffen mit einem US-amerikanischen Germanistik-Professor über eine auszugsweise Übersetzung eines meiner belletristischen Bücher spreche.
  • Viel Zeit in Zügen nach Köln, Karlsruhe, Pforzheim, Edenkoben, Rodalben, Bad Dürkheim, Grünstadt, Darmstadt, Würzburg verbringe – überwiegend beruflich. (Nicht nach Berlin, nicht nach Den Haag. Für Zuhause hab ich gerade keine Zeit.)
  • Mich in Mannheimer Buchhandlungen rumtreibe und dort ausgiebig Widmungen in Bücher schreibe – anonyme für zufällig vorbeischlendernde Menschen oder personalisierte Klassensätze für interessierte Schüler*innen.
  • Die Social Media bespiele.
  • Rechnungen schreibe, Buchhaltung mache, Umsatzsteuervoranmeldungen, naja.
  • „Romeo und Julia“ im Junges NTM (Schnawwl) ansehe, der Kollegin Sarah Kuttner in der Alten Feuerwache lausche und Bernadette La Hengst bei Kultur am Neckar am Neckarufer.
  • Die Stadt einatme. Den Wolken beim Ziehen zusehe.
  • Tollen, tollen Menschen begegne.
  • Meine Liebsten vermisse, manche von ihnen zu Besuch habe – und nie genug Zeit für niemanden.

So sieht das aus hier. Erwähnte ich, dass ich Bücher schreibe? 😉

Herrin der Lage

Nicht immer. Aber immer öfter.

 

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